Der kleine Drache

                                      von Merlin und Mar.go  

 

 

 

                                        

  Zuerst war der kleine Drache etwas traurig.

Man hatte ihn aus dem kleinen, bunten Laden mit den vielen Spielsachen,

wo er so lange gestanden hatte, herausgeholt.

Da kam so ein langer Kerl, zeigte auf ihn und dann war er in eine Tüte ge-

packt worden und konnte gar nichts mehr sehen.

 

Vorher waren so viele Leute an ihm vorbei gekommen und hatten ihn und

die anderen Sachen in seinem Schaufenster angestaunt.

Die meisten hatten gute Laune.

Kein Wunder, das Holzauto hatte ihm erzählt, daß das Städtchen Rüdesheim

hieße und die meisten Leute dorthin gingen um Wein zu trinken.

 

So hatte er jeden der vorbeikam neugierig angeschaut.

Bei manchen konnte man sogar sehen, daß sie Wein getrunken hatten.

 

Aber dann kam die Tüte und die lange Fahrt in der Dunkelheit.

Der kleine Drache fragte sich schon, ob er für immer in der Tüte bleiben

müsse.

Endlich nach langen, langen Stunden wurde er wieder herausgeholt.

Zuerst wurde er angeguckt und dann geknuddelt.

Dann setzte man ihn auf eine Fensterbank.

 

Da war ein kleines, uraltes Krokodil, das vor sich hin schnarchte.

Es wachte gar nicht auf. Er mußte es dreimal anstoßen, bis es endlich

brummend erwachte.

„Was ist denn jetzt wieder?“ knurrte es.

 

„Hallo,“ sagte der kleine Drache „ich heiße Cymraeg.“

„Was ist das denn für ein komischer Name?“

 

„Ich heiße so“ sagte der kleine Drache trotzig „weil ich aus Wales komme.“

 

„Pfff“ machte das Krokodil „ich dachte immer, Drachen aus Wales müßten

rot sein? Du bist aber grün und dunkelrot.“

 

„Na und,“ sagte der Drache „das ist eben, weil Vati rot und Mama grün

ist und Du hast mir noch gar nicht gesagt, wie Du heißt!“

 

„Ich bin Gatto“, brummte das Krokodil „und ich bin fast 50 Jahre alt.

Mit mir haben die Kinder schon gespielt, als es Dich noch gar nicht gab.“

 

„Wo sind denn die Kinder?“ fragte der kleine Drache.

 

„Natürlich längst erwachsen, was denkst Du denn?“

 

„Gibt es denn keine neuen Kinder?“

 

„Nein, hier laufen nur ein paar kindische Erwachsene herum!“

Und mit diesen Worten gähnte das kleine Krokodil mit weit aufgesperrtem

Maul und schlief wieder ein.

 

Der kleine Drache begann wieder, sich umzusehen.

Hier war es nicht so bunt wie in dem Spielzeuggeschäft.

Er bemerkte eine Bewegung hinter sich und als er den Kopf wandte, sah

er einen braunen Igel.

 

Der klebte an der Fensterscheibe und wackelte aufgeregt mit seinem Hin-

terteil, so daß der kleine Drache den einen oder anderen Pieks abbekam.

 

„Guten Tag“ sagte der kleine Drache und verneigte sich höflich.

„Rr rr rr,“ machte der Igel aufgeregt.

„Was ist denn da?“

Aber der Igel konnte wohl gar nicht richtig sprechen. Er machte immer

nur weiter rr rr rr und deutete dabei mit seinen Igelpfötchen nach drau-

ßen.

Der kleine Drache verneigte sich wieder höflich und wandte seine Aufmerk-

samkeit der anderen Seite des Zimmers zu.

 

Er konnte ganz viele verschiedene Tiere sehen, aber die waren alle zu weit

weg, als daß er sich mit Ihnen unterhalten konnte.

 

Ganz weit weg, am anderen Ende des Zimmers, sah er etwas großes grünes.

War das vielleicht auch ein Drache oder ein Krokodil?

 

Er winkte aufgeregt herüber und hüpfte auf und ab. „He komm’ doch mal

rüber!“

Er konnte sehen, daß der andere auch winkte, aber die Entfernung war ein-

fach zu groß.

 

 

Neben sich auf der Fensterbank, gleich hinter dem Blumentopf, hörte

er plötzlich ein aufgeregtes Getuschel und Geraschel.

 

Der kleine Drache beugte sich vor um besser sehen zu können und da

sah er eine ganze Kolonie von Pinguinen.

Da waren eine Mutter mit ihrem kleinen Kind, ein größeres Kind, das

sich auf den Bauch gelegt hatte, ein pummeliger Pinguin mit einem hüb-

schen gelben Schnabel mit seinem Sohn, der einen noch schöneren oran-

gefarbenen Schnabel hatte und ein Pinguin mit einer gelblichen Zeichnung

auf der Brust und strahlend blauen Augen, die streng blickten.

Dann noch ein Pinguin der ziemlich klein war und zu seinem schönen

schwarz-weißen Gefieder eine auffällige Zeichnung rund um die Augen

hatte.

 

„Oh, hallo ich bin Cymraeg“ rief er.

 

„Was bist Du denn?“ schrie der kleine Pinguin mit dem schönen Schnabel.

 

„Ich bin ein Drache“ sagte der kleine Drache stolz.

 

Das wurde mit großem Gejohle und Gelächter beantwortet.

„Du willst ein Drache sein, so klein wie Du bist? Ich wette, Du kannst

noch nicht einmal Feuer spucken!“

 

Die Pinguinmutter, die ihr Kind unter die Federn genommen hatte, mischte

sich ein „Na, na, na, Ihr wart doch auch mal klein!“

 

„Ich nicht, ich bin ein Kaiserpinguin“ sagte der mit den Augenringen und

schon lachten wieder alle.

 

Der kleine Drache war beleidigt. „Und ich kann wohl Feuer spucken!“

 

„Mach doch, mach doch!“

 

Aus der hintersten Ecke der Fensterbank hörte man leises Klirren.

Der Wikingerteddy war aufgewacht.

 

„Was ist denn hier wieder für ein Getöse? Ich bitte mir Ruhe aus,

denn ich hatte einen anstrengenden Tag!“ sagte er und rasselte mit

Schild und Streitaxt.

 

 

„Ich würde auch sagen Ihr lasst den Kleinen jetzt mal in Ruhe“ sagte

die Pinguinmutter

 

„Wenn er nicht einmal Feuer spucken kann ist er sowieso uninteressant“

meinte der Gelbschnabelpinguin.

 

 

 

Und sie verabredeten sich zum Eislaufen und verschwanden schwatzend.

 

Der kleine Drache war jetzt auch müde, draußen wurde es schon dunkel.

 

Aber das mit dem Feuerspucken wollte ihm keine Ruhe lassen.

 

„Das muß doch irgendwie gehen, fump, fump, fump“ aber nichts passierte.

 

„Muß ich mehr Luft holen“ dachte er bei sich und nahm einen tiefen Atem-

zug --- F U M P --- und plötzlich kam ein kleines Flämmchen aus seinem

Hals und die Gardine fing an zu schmurgeln.

 

Jetzt geriet der kleine Drache in Panik „Pfft, pfft, pfft“ pustete er und

zum Glück ging die Flamme aus.

 

Aber in der Gardine war ein kleines schwarzes Loch.

Voller Panik weckte er den alten Gatto.

 

„Was ist denn nun schon wieder“ brummte der, gähnend.

 

„Ich hab’, ich hab’, ich hab’ ein Loch gemacht“ stotterte der kleine Drache

aufgeregt. „Aber aus Versehen.“

 

„Immer dasselbe mit Euch jungem Volk“ knurrte Gatto.

„So jetzt drehst Du die Gardine ein bißchen um, dann sieht es kein Mensch.

Und das nächste Mal, wenn Du Feuer spucken willst, dann in die andere Richt-

ung, da ist nichts was anfangen kann zu brennen.

Oder am besten Du gehst nach draußen, da kannst Du wenigstens nichts an-

richten. Kinder sollten überhaupt nicht mit Feuer spielen!“ und mit diesen

Worten schlief er wieder ein.

 

Der kleine Drache hatte Langeweile. Die Pinguine waren unterwegs, Gatto

und der Wikinger schliefen und draußen gab es auch nichts mehr zu sehen.

Feuer zu spucken traute er sich schon gar nicht mehr.

 

Schließlich schlief er ein. Der Tag war auch anstrengend genug gewesen.

Mitten in der Nacht erwachte er von lautem Geplapper. Die Pinguine waren

außer Rand und Band. Sie stritten sich, wer am besten Schlittschuh laufen

konnte.

Die Pinguinmutter ermahnte die anderen zur Ruhe aber das half nichts.

 

 

 

„Nä nä nänä nääääää, Aushilfsdrache ich wette Du kannst noch nicht mal

Schlittschuh laufen!“

 

„Kann ich wohl!“ sagte der kleine Drache verschlafen und dachte sich

„was ist eigentlich ein Schlittschuh? Und ich kann auch Feuer spucken.

Ich mach es nur nicht, damit die Gardine nicht wieder brennt.“

 

„Kannst Du nicht, Du gibst nur an!“

 

„So jetzt ist hier Ruhe“ sagte der Pinguin mit den blauen Augen

„die Kleinen müssen jetzt schlafen. Ich will nichts mehr hören!“

 

Nach ein bißchen Geraschel und Geflüster kehrte dann auch Ruhe ein.

 

Als der kleine Drache am nächsten Morgen erwachte, war es schon hell

draußen.

 

Nicht weit von ihm, an den Blumentopf angelehnt, schnarchte laut ein

merkwürdiges Tier. Es sah aus wie ein Vogel, hatte aber unwahrschein-

lich lange Beine und eine genauso langen Hals.

Auf dem kleinen Kopf trug es einen Federbusch.

Der Körper war rund und schwarz und die weißen Flügel so klein, daß man

bestimmt nicht damit fliegen konnte.

 

Während der Drache das Tier noch betrachtete, wachte es grunzend auf.

 

„Wer bist Du?“

„Mhm, was? Ich brauche erst mal einen Kaffee.“

 

Dann gähnte er laut und sah sich um.

 

Er bemerkte den neugierigen Blick des Drachen und sagte: „Ich bin Sir Henry,

ich stamme aus dem Hause von Strauß und bitte mir Respekt aus.“

Der kleine Drache schaute ihn nur mit offenem Mund an.

 

„In meiner Jugend war ich Schnelläufer und habe eine Geschwindigkeit

von 100 Kilometern in der Stunde erreicht. Heute bin ich Friedensbe-

auftragter bei den Vereinten Nationen.“

 

„Und was machst Du hier?“

 

„Mir ist zu Ohren gekommen, daß hier Streitigkeiten zwischen einem

Drachen und einer Pinguinkolonie herrschen. Ich werde mich dieses

Problems annehmen!“

 

„Wie gestelzt der redet“ dachte der kleine Drache.

Laut sagte er: „Die Pinguine haben aber angefangen, ich hab’ gar nichts

gemacht.“

 

„Das werden wir erst mal prüfen. Im übrigen sind Pinguine gar nicht so.

Sie ärgern zwar gerne mal andere, aber sie sind nicht wirklich bösartig.

Das wirst Du schon sehen.“

 

Mit diesen Worten stakste er auf seinen langen Beinen davon und mur-

melte etwas von „erst mal Kaffee trinken“

 

„Schöner Friedensbeauftragter“ dachte sich der kleine Drache „ denkt

ja nur an seinen Kaffee“

 

In diesem Moment regte sich in der Pinguinkolonie etwas. Die Pinguine

erwachten und reckten und streckten sich.

 

Der Drache vergaß ganz, daß sie ihn vorher geärgert hatten und erzählte

aufgeregt von dem Neuankömmling.

 

„Wo, wo, wo ist er denn?“ fragten die Pinguine.

„Er wollte gucken, wo man Kaffee kriegt.“

 

„Das soll ein Friedensbeauftragter sein?“

„Ja ich weiß auch nicht“ sagte der kleine Drache.

 

„Ach was“ sagte der Kleine mit dem orangefarbenen Schnabel „ wir brauchen

überhaupt keinen Friedensbeauftragten. Kommst Du mit zum Eislaufen?“

 

„Ich weiß gar nicht wie das geht“ sagte der kleine Drache.

„Kein Problem“ sagte der Kaiser „ das ist ganz einfach, das bringen wir

Dir schon bei.“

 

„Klasse und hinterher könnt ihr alle auf meinem Rücken sitzen und ich

fliege Euch zurück, ich habe nämlich von Vati das Segelfliegen gelernt.“

 

Die Pinguine waren begeistert und der kleine Drache war glücklich.

Zusammen zogen sie los.

 

 

Juli 2010